Neu zugezogenen Bürgern der Rheinau muss es angesichts des Straßenschildes „Stabhalterstraße“ auffallen, dass es mit dieser Straßenbezeichnung eine besondere Bewandtnis haben muss.
Früher befand sich unter dem Straßenschild eine Zusatztafel, darauf war zu lesen:
Stabhalter war in Baden der Verwalter der Ortspolizei in einem abgesonderten Gemeindeteil.
Im Jahre 1831 gab es gemäß Gemeindeordnung sog. Nebenorte (Vorstädte). Zu diesem Zeitpunkt war die Rheinau eine Vorstadt gemäß dieser Gemeindeordnung und gehörte nicht zur Stadt Rastatt. Erst viel später wurde die Rheinau in die Stadt eingegliedert.
Wie schon erwähnt, da die Rheinau eine Vorstadt war, wurde sie durch einen sog. Stabhalter verwaltet, der den Anordnungen des Bezirksamtes unterstand. Das Amt eines Stabhalters wurde nur einem Bürger übertragen, der allgemeine Achtung besaß, rechtschaffend war und das Vertrauen sowohl der Behörde als der Mitbürger besaß. Also war der Stabhalter eine Respektsperson!
Außerdem war er gleichzeitig Ratsschreiber und als Folge eines Gewohnheitsrechtes auch der Bürgermeister der Vorstadt Rheinau. In allen wichtigen Dingen, die die Rheinau betrafen, war er auch als Mitglied des Stadtrates der Stadt Rastatt deren Sprecher und Vertreter und hatte auch in verwaltungsmäßigen Dingen mitzureden und mitzubestimmen.
Da der gewählte Stabhalter auf Grund seines Amtes auch Verwalter der Ortspolizei war, mussten sich nämlich die Gendarmen bei ihren Streifgängen jedes Mal vom Stabhalter bescheinigen lassen, dass sie in der Rheinau waren und dort nach dem Rechten gesehen haben.
Nicht nur die Dorfbewohner mit allerlei Sorgen und Fragen und persönlichen Dingen kamen zum Stabhalter, sondern auch der Pfarrer kam regelmäßig um kirchliche Probleme zu besprechen.
Der letzte Stabhalter der Rheinau Wilhelm Müller starb am 31. März 1924. Wie sehr würde er staunen, wenn er es erlebt hätte, wie aus dem einstigen Vorort inzwischen ein großer Stadtteil geworden ist.
- Der letzte Rheinauer Stabhalter
Wilhelm Müller mit seiner Familie
- Die Stabhalterstraße
in der Rheinau Dienstsiegel
Die Gemeindeordnung von 1831 besagte in dem Titel über Amtsbefugnisse des Bürgermeisters unter anderem:
Die Verwahrung des Gemeindesiegels ist ihm anvertraut, und er stellt innerhalb der Grenzen seiner Amtswirksamkeit Beglaubigungen aus.
Bisher war immer nur die Rede von Siegeln der selbständigen Gemeinden. In der Gemeindeordnung von 1831 gab es aber auch sog. „Nebenorte“, die von Stabhaltern verwaltet wurden. An sich wurde ihnen seitens der Regierung kein Siegelrecht zuerkannt.
Erst im Jahre 1861 wurden die Bezirksämter angewiesen die Anordnung zu treffen, dass dienstliche Schreiben der Stabhalter an die Staatsbehörden entweder mit dem Siegel der Gemeinde oder mit einem besonderen für den Stabhalter anzuschaffenden Dienstsiegel verschlossen werden.
Da die Rheinau zur damaligen Zeit eine Vorstadt war, musste sich der Stabhalter einen Dienstsiegel anschaffen. Daran konnte man auch erkennen, dass der Stabhalter wie ein Bürgermeister gewertet wurde.
Hier sehen Sie den damaligen Dienstsiegel der Vorstadt Rheinau. Die Ähnlichkeit mit dem heutigen Siegel der Stadt Rastatt ist ganz klar zu erkennen. Auch finden Sie diesen Siegel auf allen Mitteilungen und Briefen der Bürgervereinigung Rastatt-Rheinau.
Der Nachtwächter
Der Nachtwächter gehörte in der vergangenen Zeit in fast jedem Ort zur Selbstverständlichkeit. Somit hatte auch der Vorort Rheinau einen Nachtwächter. Der erste Nachtwächter, so steht es in den alten Akten, wurde im Jahre 1844 im Vorort Rheinau tätig.
Im Jahre 1894 wurde der Zimmermann Konrad Lorenz, wohnhaft in der Rheinau, vom Großherzoglichen Bezirksamt als Nachtwächter verpflichtet.
Es ist anzunehmen, dass Konrad Lorenz ab 1. Januar 1900 von der Stadt Rastatt übernommen wurde. Sie sehen hier eine Urkunde der Stadt Rastatt vom 20. März 1900.
- Urkunde
- Verpflichtungsschein
Hier wurde auch die Entlohnung festgelegt: „Er erhielt ein jährliches Gehalt von 120 Mark. Außerdem zuzüglich 4 Ster Holz, Beleuchtung (anscheinend für seine nächtlichen Rundgänge) sowie alle 6 Jahre einen neuen Mantel.“ Eine Kaution brauchte er nicht zu leisten.
Im Jahre 1909 wurde angeregt, den Nachtwächter der Rheinau abzuschaffen und der Polizei diese Aufgabe zu übertragen. Jedoch wurde von der Polizei selbst der Einwand gebracht , dass dadurch in der Rheinau ein großer Nachteil entstehen könnte. Die Polizei ist nicht in der Lage, diese Aufgabe, in der Art wie der Nachtwächter sie durchführt, zu übernehmen. Dies wäre für die Rheinau ein Nachteil, vor allem bei Diebstahl und eventuell entstehenden Bränden.
Am 1. Juli 1935 endete die Zeit eines Nachtwächters in der Rheinau, der letzte Nachtwächter Julius Himmel übergab seine Aufgabe nun der Polizei. Damit war ein weiteres historisches Kapitel zu Ende.